Ein neuer Service ermöglicht es, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bequem über das Smartphone zu erhalten – unter bestimmten Umständen.
Zwei- oder dreimal pro Jahr erwischt sie statistisch gesehen jeden von uns: die Erkältung, die uns dann mehrere Tage mit Symptomen wie Schnupfen und Halsschmerzen plagt. Neben viel Trinken ist in einem solchen Fall auch körperliche Schonung angesagt. Den meisten von uns aber ist dies nur eingeschränkt möglich. Denn viele Arbeitgeber verlangen bereits ab dem ersten Krankheitstag eine Krankmeldung inklusive dem Vorlegen einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Also schleppen wir uns zum Hausarzt und verteilen auf dem Weg dorthin und im Wartezimmer fröhlich unsere Erkältungsviren – und fangen uns womöglich eine zusätzliche Krankheit ein.
Das soll sich nun ändern: Seit Ende Dezember 2018 bietet das Hamburger Unternehmen Dr. Ansay AU-Schein GmbH die Möglichkeit, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgrund einer Erkältung online zu beantragen und dann per WhatsApp-Nachricht auf dem Smartphone zu erhalten. Erkältungen eignen sich gut für einen derartigen Dienst, da sie sich recht zuverlässig durch das Abfragen von Symptomen diagnostizieren lassen.
Realisierbar wurde dieses Online-Angebot durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbots im Mai 2018, die Ärzten „eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien […] im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt […] gewahrt wird“.
Interesse bei Patienten
Prinzipiell ist das Interesse an Telemedizin bei den Bundesbürgern recht groß: Laut einer Umfrage des Digitalbranchenverbands Bitkom aus dem Jahr 2016 konnten 33 Prozent der Befragten es sich zumindest vorstellen, die Online-Sprechstunde eines Arztes in Anspruch zu nehmen.
33 % haben Interesse an online-Sprechstunden.
Auch für die Online-Krankschreibungen scheint es etliche Interessenten zu geben: Das Unternehmen AU-Schein wirbt damit, von Dezember 2018 bis Anfang April 2019 über 3.000 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt zu haben.
Kritik der Ärztekammern
Die deutschen Ärztekammern sind von diesem Online-Service nicht begeistert: „Auch wenn in diesem Geschäftsmodell ein Quäntchen Zukunftsvision enthalten sein mag, die aktuelle Umsetzung ist nach bisherigem Kenntnisstand fraglich rechtskonform“, informierte die Ärztekammer Schleswig-Holstein in einer Pressemitteilung. „Eine verantwortungsvolle und behutsame Überführung des vertraulichen Arzt-Patient-Verhältnisses in das digitale Zeitalter sieht nach Auffassung der Ärzteschaft anders aus.“
Die Steine des Anstoßes sind unter anderem die Tatsache, dass die Datenübertragungen über amerikanische Server abgewickelt werden. Hinzu kommen Zweifel daran, dass das Ausfüllen eines Formulars und das Verschicken des Fotos einer Versichertenkarte ausreicht, um dem Arzt die Gewissheit zu geben, dass der Patient tatsächlich krank ist und dass er identisch ist mit dem Besitzer der Versichertenkarte. Zudem bestehe bei einer Selbstdiagnose langfristig die Gefahr, dass ernsthafte Krankheiten übersehen würden und es zu Spätfolgen mit langwierigen Behandlungen käme.
Dr. Pedram Emami, der Präsident der Ärztekammer Hamburg forderte daher im „Hamburger Ärzteblatt“: „Es muss einen politischen Diskurs geben zu der Frage, wo künftig Grenzen der technischen Möglichkeiten liegen sollen.“
Für wen geeignet?
Nutzen können den Dienst AU-Schein.de alle gesetzlich und privat versicherten Arbeitnehmer. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und in der Schweiz, wo der ausgestellte AU-Schein als „Krankenstandsbestätigung“ beziehungsweise als „Arbeitsunfähigkeitszeugnis“ gilt.
Nach Angaben des Anbieters erhält etwa ein Prozent der Antragsteller keine Bescheinigung – hauptsächlich dann, wenn eine Erkältung „nicht ausreichend verlässlich zu diagnostizieren ist“.
Vorteile
- Zeitersparnis
- Keine Ansteckung im Wartezimmer
Nachteile
- Servicegebühr
- kein Arztgespräch
- Datenschutzrisiken
So läuft’s ab
Das Beantragen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist denkbar einfach und innerhalb weniger Minuten erledigt: Sie wählen mit dem Web-Browser Ihres Smartphones in einem Formular auf der Site au-schein.de Ihre Krankheitssymptome aus. Und geben an, für wie viele Tage (maximal drei) Sie sich arbeitsunfähig fühlen.
Anschließend müssen Sie noch einige „Risikoumstände“ wie Schwangerschaft und starke Schmerzen ausschließen. Und schließlich per PayPal bezahlen. Die Servicegebühr beträgt 9 Euro. Privatversicherte müssen zusätzlich 16,08 Euro zahlen. (Sollte Ihnen der Arzt keine Bescheinigung ausstellen, dann entstehen Ihnen keine Kosten.)
Später übertragen Sie per WhatsApp noch ein Foto Ihrer Versichertenkarte. Die Bescheinigung erhalten Sie dann als PDF-Datei ebenfalls per WhatsApp sowie ausgedruckt per Post. Bei Bestellungen werktags vor 10 Uhr versendet der Anbieter die Bescheinigungen bis 15 Uhr, ansonsten am nächsten Werktag.
Missbrauchsgefahr?
Und wie sieht es mit der Gefahr aus, dass angeblich Erkrankte die leicht erhältliche digitale Krankschreibung missbrauchen, um blauzumachen?
Deutlich eingeschränkt wird diese Gefahr dadurch, dass jeder Patient diesen Service lediglich zweimal pro Jahr nutzen darf.
Interessant in diesem Zusammenhang: Nach einer Studie der Universität Magdeburg aus dem Jahr 2015 ist in Norwegen, wo Arbeitnehmer sich für bis zu drei Tage ohne ärztliche Bescheinigung krank melden dürfen, die Anzahl der Fehltage nicht etwa gestiegen, sondern sogar gesunken.
Seit Jahren fordern daher Ärzte, zur Entlastung ihrer Praxen auch in Deutschland eine ähnliche Regelung einzuführen. Zuletzt beispielsweise Dr. Björn Parey (stellvertretender Vorsitzender der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg) im „Hamburger Ärzteblatt“: „Jeder Arbeitnehmer sollte qua Änderung des § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz die Erlaubnis erhalten, sich maximal eine Woche lang krankheitsbedingt arbeitsunfähig zu melden.“
Weitere Krankheiten
Momentan ist das Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch AU-Schein.de nur aufgrund einer Erkältung möglich. „Bald“ möchte der Dienstleister jedoch auch Krankschreibungen wegen Magen-Darm-Grippe und „Schmerzen im unteren Rücken“ anbieten.