Das Internet am Ende? – Die EU-Urheberrechtsreform unter der Lupe

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Wer zuletzt Nachrichten konsumierte, sich im Internet bewegte oder schlichtweg die Demonstrationen registriert hat, konnte um einen Begriff nicht herumkommen: „Artikel 13“. Ursprünglich Teil eines Vorschlags für eine Reform, sperrig bezeichnet als „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“, steht der Artikel 13 mittlerweile stellvertretend für eine Diskussion, die weitreichende Auswirkungen auf das Internet, wie wir es kennen, haben könnte. Doch was ist passiert? Was will die EU? Und woran stören sich die Kritiker? Wir versuchen eine Rekonstruktion.

Abstimmung bereits erfolgt

Zuerst das Entscheidende: Am 26. März dieses Jahres stimmte das EU-Parlament dem umstrittenen Vorschlag in all seinen Auslegungen zu, vorgebrachte Anträge zu Abänderungen (vor allem den Artikel 13 betreffend), wurden im Vorfeld abgelehnt.

»Demonstrationen, Diskussionen, Streit: Zuletzt ging es heiss her.«

Insgesamt umfasste die Urheberrechtsreform letztlich 32 Artikel, der zuvor als „Artikel 13“ bekannte Abschnitt hieß aufgrund einiger neuer Unterpunkte am Ende Artikel 17 – der Inhalt blieb aber unverändert. Artikel 13 oder 17 (wir verwenden die Begriffe fortan synonym) beschäftigt sich mit der „Verwendung geschützter Inhalte durch Dienstanbieter, die Online-Inhalte teilen“. Damit gemeint sind soziale Plattformen wie YouTube, Instagram oder Facebook, aber auch Community-Portale wie 9GAG oder Reddit. Gerade dort war der Aufschrei am größten, viele Youtuber versuchten beispielsweise im Vorfeld, über die Thematik aufzuklären. Das wiederum wurde Google vorgeworfen, nicht selten hieß es von Seiten der Unterstützer, Youtuber würden von Google und Co instrumentalisiert, um die Gesetzesvorschläge zu verhindern.

Abstimmungsergebnis:Das finale Ergebnis der Urheberrechtsreform: 348 Stimmen dafür, 274 Stimmen dagegen. 36 Parlamentarier enthielten sich.

EU-weite Demonstrationen

Das alles führte im Vorfeld der Abstimmung zu massiven Diskussionen, begleitet von europaweiten Demonstrationen und letztendlich viel Wut und Unverständnis auf beiden Seiten. Obwohl natürlich alle 32 Artikel es verdient hätten, genauer beleuchtet zu werden, beschäftigen wir uns primär mit dem 13. oder 17 – denn dieser betrifft alle Internetnutzer, während andere speziellere Agenden verfolgen.

Der Kern des Problems: Während die EU dafür sorgen will, dass urheberrechtlich geschützte Inhalte nicht einfach ohne Konsequenzen geteilt werden können, monieren Kritiker einen unausgegorenen Vorschlag, fürchten weitreichende Veränderungen und stören sich vor allem an den Folgen des Schritts. Wir spielen zum besseren Verständnis ein fiktives Szenario durch: Auf diversen Plattformen, von Facebook bis Reddit, erfreuen sich sogenannte „Memes“ großer Beliebtheit. Dabei handelt es sich um witzige Bildchen, die oft vielfältig verändert und mit anderen Texten versehen wieder und wieder gepostet und geteilt werden. Einen Urheber gibt es aber auch in diesem Fall. Das Problem nun: Die aktuelle Auslegung des Gesetzesvorschlags verlangt von kommerziellen Internetdiensten, für ihre Nutzer zu haften. Wenn die Dienste aktiv zu verhindern versuchen, dass derartige Werke auf ihren Plattformen gepostet werden, sind sie aber aus dem Schneider.

Lizenzen als Pflicht

Es steht den Dienstleistern außerdem frei, Lizenzen für geschützte Inhalte zu erwerben. Ist dass der Fall, gilt die Lizenz auch für die Nutzer der Plattform. Es ist allerdings unmöglich, alle Lizenzen für jeden (!) Inhalt im Internet zu erwerben – was folglich dazu führen wird, dass vor dem Posting kontrolliert werden muss. Das ist aber wiederum nicht Menschen überlassen, sondern sogenannten „Uploadfiltern“. Und genau daran stören sich viele Menschen in der gesamten Europäischen Union.

»Kann eine Künstliche Intelligenz die komplexe Thematik erfassen?«

Warum, fragen Sie sich? Ganz einfach: Erste Versuche in diese Richtung gibt es bereits, YouTube beispielsweise setzt auf einen als „Content ID“ bezeichneten Upload-Filter. Dessen Erfolgsrate ist allerdings überschaubar, immer wieder gibt es Beschwerden, der Filter würde aus nicht nachvollziebaren Gründen Inhalte verbieten. Dazu befürchten Kritiker, dass die haftenden Plattformen den Filter lieber zu viel als zu wenig streichen lassen – was unweigerlich zur Folge hätte, dass vieles dessen, was wir heute durchaus als „Internet-Kulturgut“ bezeichnen können, verloren gehen würde. Selbstverständlich gibt es einige Ausnahmen (siehe Kasten Mitte), Kritikern ist das aber viel zu wenig.

Ausnahmen

Es gibt Gründe, keinen Uploadfilter installieren zu müssen.

Größe und Reichweite: Ausnahmen hinsichtlich der Regel für einen verpflichtenden Uploadfilter gibt es für Unternehmen, die jünger als drei Jahre sind, weniger als 10 Millionen Euro pro Jahr umsetzen und mit weniger als fünf Millionen monatlichen Nutzern.

Warum das?: Ganz einfach: Startups haben oftmals nicht die finanziellen Möglichkeiten, um sich von Beginn an einen Uploadfilter leisten zu können. Die oben genannten Kriterien sollen den Start also erleichtern. Der Clou: Erfüllt sein müssen alle drei Punkte, sonst ist der Filter nötig.

Keine Regeln verletzt?

Letzten Endes – so zumindest die Meinung vieler Experten – würden wir in eine Kultur der Überprüfung abdriften. Das heißt, jeder Inhalt, vom komplexen Video bis hin zum simplen Kommentar, würde vorab auf etwaige Verletzungen des Urheberrechts oder anderer Rechte hin überprüft werden. Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, wie viele Kritiker, Politiker und Demonstranten meinen.

Die Gegenseite

Aber warum das alles? Wie so oft gibt es auch in diesem Fall eine Gegenposition. Die kommt aus der Wirtschaft, genauer gesagt von vielen Verlagen. Neben dem Axel Springer-Verlag, der intensiv für den umstrittenen Artikel warb, unterstützen auch viele andere Verlage die Urheberrechtsreform (wir übrigens nicht). Das hat einen einfachen – und auch durchaus nachvollziehbaren – Grund: Das Urheberrechtsgesetz gilt als veraltet, stammt aus dem Jahr 2011 und benötigt deshalb dringend eine Reformierung – ein Punkt, in dem sich so gut wie alle Beteiligten einig sind. So weit, so gut. Für Verlage besonders interessant ist allerdings Artikel 11. In diesem Text wird nämlich ein Leistungsschutzrecht vorgeschlagen, was Verlagen direkt Geld in die Kassen spülen würde. Dienstleister wie Google müssten dann nämlich zahlen, wenn Sie Texte oder Textausschnitte von redaktionellen Artikeln anzeigen würden. Das heißt, wenn Google einen unserer Artikel als Suchergebnis anzeigt, würden auch wir damit Geld verdienen.

Nachdem es die Reform aber nur im gesamten Paket geben konnte, stellten sich Verlage gegen die Demonstranten, Youtuber gegen die EU und die EU gegen alle Kritiker. Verabschiedet wurde der Entwurf ohne eine – vielfach geforderte – Abstimmung zu Abänderungsanträgen. Fünf Stimmen fehlten, um über Änderungen zu entscheiden.

Am 15. April, kurz vor Redaktionsschluss, segnete der EU-Rat die Reform beziehungsweise das neue EU-Urheberrecht endgültig ab.

Die VIPs der Reform

Jean Claude Juncker

Der luxemburgische Politiker ist seit dem 1. November 2014 Präsident der Europäischen Kommission. Seine Kommission brachte auch den Vorschlag ein. Er will, dass “Journalisten, Verleger und sonstige Urheber eine faire Vergütung […] erhalten”.

Axel Voss

Wohl das prominenteste Gesicht der ganzen Debatte. Voss ist der Berichterstatter des Europaparlaments bei der Urheberrechtsreform und ein absoluter Befürworter des Vorschlags. Viele Kritiker werfen ihm aber Unwissenheit in der Thematik vor.

Julia Reda

Eine der prominentesten Kritikerinnen der Reform. Nach der Abstimmung trat sie aus der Piratenpartei aus, sie ist nun parteiloses Mitglied des Parlaments. Sie stört sich vor allem am Uploadfilter und dem Leistungs­schutzrecht.

Glossar

Urheberrechtsreform: Ziel der EU beziehungsweise der Reform ist es, “das Urheberrecht der Europäischen Union an die Erfordernisse der digitalen Gesellschaft” anzupassen (laut Wikipedia). Eingebracht wurde der Vorschlag von der “Kommission Juncker”. Zugestimmt wurde dem Entwurf am 26. März 2019.

Artikel 13 / Artikel 17: Artikel 17 (vormals 13) soll die Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Internet durch “Dienstanbieter für das Teilen von Online-Inhalten”, also Social Media-Plattformen, regeln.

Leistungsschutzrecht: Dieses Recht für Verlage soll dem Schutz der eigenen Leistungen dienen. Mit der Reform müssen Suchmaschinen künftig einen Obulus leisten, wenn Sie Inhalte von Verlagen für ihre Ergebnisse anzeigen.

EU-Parlament: Das in Straßburg angesiedelte EU-Parlament stimmte über die Urheberrechtsreform ab. Es besteht aus insgesamt 751 Mitgliedern und teilt sich in acht Fraktionen.

Upload-Filter: Darunter versteht man digitale Überprüfungsmaßnahmen, um alle Dateien auf eine mögliche Urheberrechtsverletzung hin zu überprüfen.

Kommentar

In der Recherche-Phase für diesen Artikel war ich unschlüssig: Einerseits wollen und müssen Verlage vergütet werden, insofern ist ein Leistungsschutzrecht grundsätzlich nachvollziehbar. An der Umsetzung hakt es, nach derzeitigem Stand profitieren vorrangig große Verlage von der Reform – und kleine Content-Ersteller schauen durch die Finger. Ist das demokratisch?

„Ein sehr komplexes Thema mit vielen Standpunkten – aber auch eine spannende Recherche. Sie selbst können sich am 26. Mai bei der Europawahl einbringen!“

Oliver Janko, Chefredakteur

Was die Uploadfilter betrifft, bin ich eindeutiger in meiner Meinung. Über die letzten Jahre, im Endeffekt seit den ersten Gehversuchen im Internet, entwickelte sich im WWW eine eigene Form von Kultur. Die muss man nicht mögen und darf man auch kritisieren, das sie besteht ist aber unstrittig. Eine Kultur wird per De­fi­ni­ti­o­nen vom Menschen geschaffen – und könnte in diesem Fall auch wieder von Menschenhand zerstört werden. Das Problem hat viele Facetten, Unwissenheit darf aber keine davon sein. Wer sich eingehend mit der Reform beschäftigt, wird unweigerlich feststellen, dass gerade im EU-Parlament, einer so mächtigen Institution, oft blankes Unwissen herrschte. Wer Entscheidungen in dieser Größenordnung treffen muss, trifft sie oft auch für Generationen – und da muss eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Paragraphen Pflicht sein. Demonstrationen wundern angesichts des mitunter desaströsen Bilds, dass das EU-Parlament während der Debatte abgegeben hat, niemanden mehr.

FAQ – Fragen & Antworten

1. Gibt es Upload-Filter bereits?

Ja, die gibt es bereits. YouTube beispielsweise setzt auf ein Programm namens „Content ID“, das Videos automatisch auf mögliche Verletzungen des Urheberrechts hin überprüft. Auch Facebook hat bereits ein derartiges System in Betrieb. Menschen wäre es auch gar nicht möglich, jedes Bild, jedes Video, jeden Textausschnitt und jeden Ton manuell zu kontrollieren.

2. Wann wird die Urheberrechtsreform umgesetzt?

Nach dem Beschluss des EU-Rats (der nach dem Redaktionsschluss stattgefunden hat), segnen alle Parteien die Reform ab. Danach haben alle EU-Staaten maximal zwei Jahre Zeit, aus dem vorgegebenen Regelwerk ein nationales Recht zu machen. Damit tritt die Reform dann als Gesetz offiziell in Kraft.

3. Was erhofft sich die EU von Upload-Filtern?

Das ist die große Frage. Natürlich, das Urheberrecht wird gestärkt, keine Frage – und davon profitiert im Optimalfall der Urheber. Damit steht allerdings nicht fest, dass der Urheber entsprechend vergütet wird – es wird lediglich erschwert, das geschützte Werk zu verbreiten.

4. Werden auch meine Uploads überprüft?

Verlinken Privatpersonen Postings oder teilen Links, ist das keine Veröffentlichung im hier passenden rechtlichen Sinne. Grundsätzlich werden sich die Kontrollmaßnahmen aber sicherlich verschärfen -aus einem einfachen Grund: Aufgrund der neuen Regelung haften die Plattformen für Urheberrechtsverletzungen seitens der Nutzer.

5. Was sind die negativen Auswirkungen des Filters?

Kritiker befürchten, dass sich das Internet durch diese Reform nachhaltig verändern könnte. Bislang hatten Nutzer vergleichsweise viele Freiheiten, wodurch viele Memes und Kreationen erst entstehen konnten. In Teilen der EU wird derzeitig übrigens auch über eine Art Klarnamenpflicht für Internetforen diskutiert.

6. Wie sehen Facebook und Google die Reform?

Beide verwenden bereits sehr ähnliche Filter, müssen also nicht allzu viel investieren. Insofern halten sich beide Unternehmen öffentlich zurück. An der dominanten Marktstellung wird sich dadurch nur wenig ändern.