Nach den US-Sanktionen prescht Mobilfunk-Hersteller Huawei nun vor und präsentiert sein eigenes Betriebssystem HarmonyOS. Wir werfen einen ersten Blick darauf.
Der Aufschrei in der Technikwelt war groß, als Huawei aufgrund von US-Sanktionen im Mai 2019 plötzlich keine neuen Smartphones mehr mit Google-Diensten ausstatten durfte. Gerade in Europa, wo Gmail, Google Maps und Co. weit verbreitet sind, stellte diese Tatsache eine große Einschränkung dar. Nicht nur für Technik-Enthusiasten, sondern auch für Otto-Normalverbraucher. Denn schließlich hat beinahe jeder Nutzer eines Android-Smartphones, vor allem ob der Google-Mailadresse im Benutzeraccount, zumindest den einen oder anderen Google-Dienst in Benutzung. Daher wollten viele Smartphone-Käufer den von Huawei beschrittenen Umweg über das freie Android und die entsprechende Play Store-Alternative App Gallery nicht mitgehen und wanderten zu anderen Anbietern ab. Dadurch brach der Smartphone-Absatz, vor allem in Europa, doch gehörig ein.
An den Start
Geht es nach Huawei, soll dieser Abwärtstrend in Zukunft zumindest stark abgebremst werden. Das Zauberwort hierfür heißt HarmonyOS und ist im Prinzip keine echte Neuheit mehr. Denn bereits seit Mitte 2019 schwebt das Betriebssystem wie ein Damoklesschwert über der Technikwelt. Anfang Juni 2021 wurde es schließlich in einer Online-Präsentation der Weltöffentlichkeit präsentiert. Neben der Vorstellung der Huawei Watch 3 (Pro) und neuer MatePad-Modelle widmeten sich CEO Richard Yu und Co. vor allem dem neuen Betriebssystem.
Ein System für alle
Der Fokus bei der Entwicklung lag darauf, möglichst viele Geräte miteinander zu vernetzen und dies alles mit einer einzigen Software. Eingangs der Präsentation wurden zahlreiche Apple-Devices gezeigt und damit ein Stimmungsbild aufgebaut, jedes dieser Geräte laufe mit einem separaten OS. Anders Harmony. Auf gleich neun unterschiedlichen Gerätekategorien (Smartphone, Tablet, PC, Fernseher, Smartwatch, Lautsprecher, Audio-Produkte, AR/VR und Gadgets fürs Auto) soll Huaweis neue Software verfügbar sein und das Nutzererlebnis nach eigener Aussage revolutionieren.
Der Austausch der Geräte untereinander soll bequem und reibungslos vonstattengehen. Immer mehr Menschen haben unzählige smarte Devices zu Hause, die eher unten: Zuhilfenahme von HarmonyOS zu einem zusammenhängenden „Super-Device“ verschmelzen sollen. Nicht nur der Nutzer, sondern auch App-Entwickler sollen davon profitieren, denn nach eigener Aussage soll die plattformübergreifende Entwicklung von Apps über verschiedene Geräte hinweg einfacher gehen, als je zuvor. Der Endkunde soll vom technischen Meisterstück im Hintergrund jedoch nur bedingt etwas mitbekommen. Vielmehr sollen sich Übergänge zwischen Geräten nahtlos und flüssig anfühlen. Etwa dann, wenn ein Film auf dem Smartphone gestartet und dieser mit nur einem Wisch auf den Fernseher gelegt wird. Dieser Aspekt soll sich auch bei der Appnutzung bemerkbar machen. Huawei verspricht, Funktionen und Dienste immer und überall auf jedem verbundenen Gerät synchron verfügbar machen zu wollen, etwa am Beispiel eines laufenden Spieles, welches mit einem Wisch vom Smartphone auf das Matepad wandert.
Nicht nur das Grundgerüst von HarmonyOS ist neu, auch die Benutzeroberfläche hat einen Relaunch bekommen. Die Bedienelemente wirken schlicht und elegant, die Animationen flüssig und flott, sodass sich ein zügiges Arbeitstempo einstellt.
»Einer wie alle, alle wie einer. Wir leben in einer Welt, in der alle Dinge miteinander verbunden und intelligent sind.«
Richard Yu, CEO Huawei
Das leidige Thema
Keine Frage, HarmonyOS wirkt sehr klar durchkonzipiert und es ist dem Betriebssystem durchaus anzumerken, dass sich zahlreiche, hochintelligente Softwareentwickler monate-, wenn nicht jahrelang den Kopf darüber zerbrochen haben, wie sie ein ansprechendes und nutzerfreundliches Betriebssystem auf die Beine stellen können. Ob es Huawei damit jedoch gelingt, die Konkurrenten aus dem Hause Google und Apple ernsthaft anzugreifen, scheint vor allem in Europa mehr als fraglich. Gerade auch deshalb, weil der Durchschnittsnutzer hierzulande in der Regel in einem bereits bestehenden Ökosystem unterwegs ist und auch schon diverse Dienste nutzt. Ärgerlicherweise für Huawei kommen derer unzählige aus dem Hause Google. Daher schätzen wir einen Wechsel von Android zu Apple und umgekehrt weitaus realistischer ein, als zu HarmonyOS. Auch wenn Huawei gebetsmühlenartig betont, dass die eigene App Gallery immer besser gefüllt wird und Unterstützer-Anwendungen wie Petal Search dabei helfen, noch nicht in der Gallery verfügbare Apps als APK-Datei herunterzuladen, so ist die Lösung dennoch nur suboptimal.
Wann kommt HarmonyOS?
Ein exaktes Startdatum für HarmonyOS gibt es noch nicht. Die ersten Beta-Versionen für Entwickler stehen inzwischen zum Download bereit, es wird aber zumindest noch bis zur Vorstellung des P50 Pro dauern, bis HarmonyOS erstmals als vollwertiges Betriebssystem mit neuen Geräten ausgeliefert wird. Immerhin hat Huawei angekündigt, auch ältere Geräte wie etwa das P10 aus dem Jahre 2017 mit Harmony ausstatten zu wollen. Ob dies der Servicierung oder der möglichst starken Verbreitung des eigenen Ökosystems dient, lassen wir einmal unkommentiert.
Bildquelle: Huawei