Smartphone-Sucht: Die Probleme und mögliche Lösungen

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Egal ob im Bus, in Schulen und Universitäten, im Büro oder beim morgendlichen Kaffee: Das Smartphone ist stets treuer Begleiter. Experten warnen daher vor der steigenden Suchtgefahr. Aber ist die Situation wirklich so schlimm? Wie kann der Abhängigkeit vorgebeugt werden?

Der Wecker reißt Sie unsanft aus dem Schlaf. Die noch verschwollenen Augenlider lassen mühsam die ersten Sonnenstrahlen zur Netzhaut durch, während Sie tastend nach Ihrem Smartphone suchen. Sobald die Müdigkeit vertrieben ist, geht es noch direkt im Bett ab in die sozialen Netzwerke dieser Welt. Facebook, Instagram und Co. erlauben keine Pausen und wollen selbstverständlich gleich frühmorgens gecheckt werden. Sie könnten ja etwas verpassen.

Erster und letzter Blick

Dieses Szenario kommt Ihnen bekannt vor? Kein Grund sich zu schämen, Sie sind mit diesem Verhalten nicht allein. Einer Studie von Deloitte (ein Dienstleister im Wirtschaftssektor) zufolge wirft fast die Hälfte der Smartphone-Nutzer innerhalb der ersten 15 Minuten nach dem Aufstehen einen Blick auf das Smartphone. 39 Prozent nutzt das Smartphone auch bis zu einer Viertelstunde vor dem Schlafengehen. Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie das Smartphone und andere Mobilgeräte unsere Verhaltensweisen und –routinen beeinflussen. Wo früher noch das gute alte Buch gefragt war, sehnt sich der Nutzer jetzt nach dem Smartphone. 71 Prozent der Deutschen können sich ein Leben ohne Handy nicht mehr vorstellen, 177 Minuten wird das Smartphone jeden Tag zu Rate gezogen. Forscher schlagen darum mittlerweile Alarm: Immer mehr Menschen würden süchtig nach Smartphones und sozialen Netzwerken, heißt es. Aber was bedeutet es, „Smartphone-süchtig“ zu sein? Wie entsteht diese Abhängigkeit? Und was kann jeder einzelne dagegen unternehmen?

Was macht das Hirn?

Die Wissenschaft kann diese Fragen noch nicht vollständig beantworten. Das Smartphone existiert in der aktuellen Form erst seit 2008, davor als „smart“ verkaufte Geräte ermöglichten zumeist nicht die heutigen Einsatzszenarien. Das hat zur Folge, dass Längsschnittstudien, die etwaige Änderungen in der Hirnstruktur über Jahre verfolgen, schlichtweg noch nicht existieren. Insofern wissen wir nicht, was Smartphones auf lange Sicht mit unserem Hirn machen. Das bedeutet aber nicht, dass die Auswirkungen von häufiger Smartphone-Nutzung komplett unbekannt sind – im Gegenteil. In Deutschland gelten 2,6 Prozent der 12- bis 17-Jährigen als süchtig nach WhatsApp, Instagram und Co. Das ergab eine Studie der „Deutschen Angestellten Krankenkasse“ und dem „Deutschen Zentrum für Suchtfragen“, angesiedelt am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf. In absoluten Zahlen sprechen wir von etwa 100.000 Jugendlichen, die nach den Standards der Wissenschaft als Smartphone-süchtig gelten. Andere Studien sprechen von noch mehr Betroffenen. Als süchtig wird eingestuft, wer ständig gedanklich beim Smartphone ist, gereizt reagiert, wenn das Gerät nicht greifbar ist und andere Lebensbereiche unter der exzessiven Nutzung leiden – beispielsweise schulische Leistungen, der Freundeskreis oder der Job.

Ist Facebook gefährlich?

„Kann mir nicht passieren“, denken Sie jetzt? Ganz so einfach ist es nicht. Wie bei jeder anderen Sucht entsteht auch die Abhängigkeit vom Smartphone nicht von heute auf morgen. Als besonders gefährlich gelten soziale Netzwerke. Jahrelang wurden Facebook und Co kaum in dieser Hinsicht untersucht – dabei wussten die Gründer recht genau, wie sie die Plattform gestalten mussten. Sean Parker, seines Zeichens früherer Berater von Facebook und Mitbegründer der Musiktauschbörse Napster, rechnete schon vergangenes Jahr mit dem Netzwerk ab. Im Rahmen einer Konferenz warf er beispielsweise Mark Zuckerberg vor, bewusst psychologische Schwächen der Mitglieder zu nutzen. Zuckerberg und Co – und auch er selbst – hätten bei der Gründung genau gewusst, was sie hier machen, erklärte Parker weiter.

Ein Like als Belohnung

Der Gedankengang hinter dem System von Facebook, Instagram und anderen sozialen Netzwerken ist fast immer gleich: Wer teilt, bekommt Rückmeldung in Form von Kommentaren oder Likes. Diese Rückmeldungen aktivieren das Belohnungssystem in unserem Hirn, was zur Folge hat, das Dopamin ausgeschüttet wird.

Alkohol, Drogen, Smartphone…

Dopamin ist ein überwiegend erregend wirkender Neurotransmitter des zentralen Nervensystems und ist auch als „Glückshormon“ oder „Belohnungshormon“ bekannt. Die Ausschüttung geht einher mit Glücksgefühlen und einer euphorisierten Stimmung. Das Problem: Drogen wie Nikotin, Cannabis oder Alkohol erhöhen die Ausschüttung von Dopamin, was uns entspannt, zufrieden und glücklich macht. Bei diesen Suchtmitteln ist allerdings bekannt, dass übermäßiger Konsum negative Auswirkungen hat. Das gleiche gilt auch für jede Form von Spielsucht. Was bislang deutlich weniger bekannt war, ist, dass eben auch Smartphones beziehungsweise soziale Netzwerke diesen Effekt nach sich ziehen.

„Likes“ funktionieren ähnlich wie der Zug an der Zigarette, eine Antwort auf eine Nachricht oder ein Kompliment unter einem Foto sorgen ebenfalls für einen Dopamin-Ausstoß. Im Unterschied zu den anderen genannten Süchten unterliegt der Umgang mit dem Smartphone aber keinerlei Regulationen. Wir können posten, surfen oder chatten so lange und so oft wir wollen.

Bekannte Verhaltensmuster

B. J. Fogg, ein Verhaltensforscher der Stanford-Universität, hat sich ein Modell überlegt, das unter dem Namen „Fog Behavior Model“ bekannt ist. Wie so oft in der Wissenschaft wird auch dieser Ansatz heiß diskutiert und nicht flächendeckend akzeptiert, für das Thema „Smartphone-Sucht“ passt Foggs Modell aber wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Er formuliert drei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Mensch eine Handlung vollführt und wiederholt: Er muss motiviert sein, die Handlung muss leicht von der Hand gehen und es muss einen Auslöser geben. Davon gibt es genug, jede Vibration in der Hosentasche und jede langweilige Minute im Bus, an der Haltestelle oder vor dem Einschlafen lässt viele Nutzer das Smartphone zücken. Dass Surfen, Scrollen, Liken und Kommentieren keine körperliche oder geistige Anstrengung nach sich ziehen, erklärt sich von selbst. Fehlt nur noch die Motivation. Die kann in Form der sozialen Interaktion ebenso bestehen wie extrinsisch (also von außen) bedingt, beispielsweise durch die Hoffnung auf viele Likes und Kommentare.

Vorsorge besser als Nachsorge

Künftig soll der gemeine Smartphone-Nutzer aber wissen, wann es genug ist. Apple beispielsweise liefert die neuen iPhones werkseitig mit iOS 12 aus, das einige Werkzeuge mit auf den Weg bekommen hat, mit denen die Nutzer die tägliche Nutzungsdauer kontrollieren können. Bei der Android-Konkurrenz gibt es ähnliche Entwicklungen, Huawei beispielsweise nennt die Funktion „Digital Balance“. Aufgezeichnet wird unter anderem, welche Apps wie lange laufen und wie oft das Smartphone entsperrt wird. Sogenannte „App-Limits“ sollen dabei helfen, das Smartphone öfter wegzulegen. Das Gerät meldet sich, wenn eine bestimmte Nutzungsdauer überschritten ist. Zwar ist die Sperre nicht endgültig, das System hilft aber, einen reflektierten Umgang zu entwickeln.

Dafür ist allerdings nicht zwingend wieder technologische Hilfe notwendig. Es gibt einige Tricks und Verhaltensweisen, die dabei helfen, den unbedachten Griff zum Smartphone zu reduzieren und mit weniger Bildschirmzeit glücklicher zu leben. Das können Basics sein, aber auch ausgeklügelte Kniffe, um sich selbst ein wenig auszutricksen. Das ist nur fair, immerhin spielen Facebook, Instagram und Co auch mit unseren Hirnstrukturen. Es ist Zeit zurückzuschlagen!

Smartphone-Besitz von Kindern

Bereits 2017 besaßen über 88 Prozent der Zwölf- bis Dreizehnjährigen ein Smartphone

Studien zur Smartphone-Nutzung von Kindern und Jugendlichen gibt es mittlerweile zwar einige, das Feld gilt aber nach wie vor als nur spärlich erforscht. Große Langzeitstudien beispielsweise sind noch gar nicht vorhanden. Eine Statistik aus dem Jahr 2017 zeigt aber einige erstaunliche Zahlen: Schon vor rund einem Jahr besaßen über 65 Prozent der Kinder mit zehn und elf Jahren ein Smartphone. Mit steigendem Alter steigt auch die Anzahl der Kinder, die ein Smartphone besitzen. Eine andere Studie von Bitkom aus dem Jahr 2017 verrät, dass rund 80 Prozent aller Deutschen ab 14 Jahren ein Smartphone verwenden.

Tipps für Eltern

Hier gilt, was für Eltern generell gelten sollte: Versuchen Sie, mit gutem Beispiel voranzugehen. Beim Mittagessen hat das Smartphone nichts am Tisch verloren und die letzte Runde Zocken vor dem Schlafengehen ist auch nicht zwingend notwendig. Zeigen Sie Ihren Kindern, dass das Smartphone im Familienleben nicht mehr Platz als notwendig bekommen muss.

Verschiedene Apps helfen außerdem, die Nutzungsdauer der Kinder zu regulieren und zu kontrollieren. Die App „Parental Control“ von ESET beispielsweise checkt automatisch unsichere Inhalte, sperrt unangemessene Apps bereits im Play Store und ermöglicht es darüber hinaus, feste Nutzungszeiten für einzelne Anwendungen festzulegen. Außerdem wissen Sie so stets, auf welchen Seiten Ihre Sprösslinge surfen. Empfehlenswert!

Die App konnte im App Store nicht gefunden werden. 🙁

iOS

Schlicht als „Bildschirmzeit“ betitelt Apple das Tool zur Nutzungsübersicht. Die Anwendung zeigt Ihnen, wie viel Bildschirmzeit für die verschiedenen Apps verbraucht wurde und welche Tools Sie wie oft nutzen. iOS unterteilt die Statistik auch noch in Kategorien. Sie wissen damit beispielsweise, wie viel Zeit für soziale Netzwerke draufgeht, wie oft Sie produktiv sind oder wie häufig Sie kreative Apps nutzen. Welche Anwendung zu welcher Kategorie zählt, ist offiziell nicht bekannt. Sämtliche Statistiken sind für jeden ­einzelnen Tag, aber auch für die vergangene Woche abrufbar. Wer mag, kann auch Auszeiten festlegen und App-Limits einstellen.

Android (Huawei)

Exemplarisch für den Android-Sektor zeigen wir Ihnen die „Digital Balance“ genannte Funktion von Huawei. Das Tool zeigt an, welche Anwendung wie lange verwendet wurde und wie oft Sie das Smartphone aus dem Ruhezustand geholt haben. Geboten wird ein Tages- und ein Wochenüberblick. Wer mag, kann festlegen, wie viele Stunden das Mobilgerät täglich verwendet werden darf und welche Apps ein Zeitlimit bekommen sollen. Auch das ist individuell einstellbar. Ist die Zeit überschritten, meldet sich das Smartphone. Wer die App weiterhin nutzen will, muss sich selbst eine Verlängerung erlauben.

Süchtig nach Smartphone & PC

Befragte in ausgewählten Ländern, denen eine Technik-Pause schwerfallen würde*

*Kurzzeitiger Verzicht auf Smartphone, PC oder TV
Basis: 22:00 Internetnutzer (ab 15 Jahren) in 17 Ländern, Sommer 2016

Apps von Drittanbietern

Wir haben uns exemplarisch für zwei Anwendungen entschieden: „Space“ und „Hold“. Der Hintergrundgedanke ist derselbe, die Umsetzung unterscheidet sich aber in einigen Details. Bei „Space“ setzen die Entwickler auf Selbstregulation. Das heißt, der Nutzer beantwortet eingangs einige Fragen zur täglichen Verwendung und setzt sich verschiedene Ziele, beispielsweise die maximale Anzahl an Entsperrungen pro Tag. Die App zeichnet den Fortschritt auf und belohnt Sie mit Auszeichnungen.

Die gibt es auch bei „Hold“, allerdings in Form von realen Belohnungen. Für 20 Minuten ohne Smartphone gibt es einen Punkt. Gesammelte Punkte lassen sich gegen Kinogutscheine oder Lebensmittel tauschen. Die App ist derzeit allerdings nur für einige ausgewählte Universitäten verfügbar. Laut den Entwicklern sind unter anderem bereits Coca Cola oder Microsoft an Bord.

Die App konnte im App Store nicht gefunden werden. 🙁
Hold
Hold
Entwickler:
Preis: Kostenlos